Angela Davis – schwarze Schwester und rote Ikone (2024)

Angela Davis (*1944) us-amerikanische Professorin, Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin, war als Blackpower-Aktivistin der 1970er Jahre eine rote Ikone mit enormer internationaler Ausstrahlung, die bis heute nachwirkt. Auch die DDR feierte sie als sozialistische Heiligenfigur. Als Davis in den USA wegen „Unterstützung des Terrorismus“ in Haft kam und angeklagt wurde, mobilisierte die DDR eine große Solidaritätskampagne, die sogar zahlreiche Kunstwerke mit ihrem Porträt entstehen ließ. Was waren die Motive dahinter?

Es gibt eine Reihe historischer Persönlichkeiten, deren Bilder im Laufe von Jahrzehnten zu sozialistisch-revolutionären und linksromantischen Ikonen wurden. Ihre Abbilder lösten sich von der historischen Situation und realen Biografie der Betroffenen ab, wurden unzählige Male künstlerisch variiert, interpretiert und kopiert: Verewigt sind sie in Denkmälern, Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Filmen, Fotos, Plakaten, Aufklebern oder T-Shirt-Motiven.

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Natürlich kennt jeder „Che“, den Guerillaführer Ernesto „Che“ Guevara (1928–1967) – vor allem das ikonische Portrait, das der kubanische Fotograf Alberto Korda im Rahmen einer Trauerveranstaltung im März 1960 fotografierte. Auch die spanische Revolutionärin Dolores Ibárruri Gómez (1895–1989), genannt La Pasionaria („No pasaran“), wird in Bildern bis heute kultisch verehrt.

In diese Reihe weit verbreiteter linker Ikonen gehört auch Angela Davis. Dabei wurde Davis als junge selbstbewusste Frau in modischer Kleidung und mit einer charakteristischen Afro-Frisur dargestellt – womit eine coole Ausstrahlung und ein hoher Wiedererkennungswert verknüpft waren.

Ungeachtet der bürokratischen Schwerfälligkeit und kulturellen Biederkeit ihres Parteiapparates, der überalterten und steifen Führungsriege verstand sich die DDR als dynamische und junge Nation. Die SED konnte aber keine charismatischen, jungen und international ausstrahlenden Führungspersönlichkeiten wie Fidel Castro, Gamal Abdel Nasser oder Patrice Lumumba ins Feld führen. Fast scheint es, dass sich die SED-Funktionäre leihweise mit Ersatzhelden umgaben, mit Sportlern, Künstlern oder Anführern ausländischer Befreiungsbewegungen, um von deren Ruhm und Attraktivität zu profitieren.

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Vielleicht war damit auch die Hoffnung auf einen Charisma-Transfer verbunden: Die bürokratisch früh erstarrte DDR imaginierte sich als junge Nation, die moskauhörige SED als deutsche Befreiungsbewegung – in einer Front mit den jungen Nationalstaaten Afrikas und Asiens und brüderlich vereint im Kampf gegen die alten Kolonialmächte und den Rassismus des Westens. Fidel Castro, Ho Chi Minh, Samora Machel aber auch die US-Amerikanerin Angela Davis waren damals Heldenfiguren, an die sich das Politbüro anhängen konnte.

Vor allem die Afroamerikaner erschienen der DDR als potentielle strategische Partner, weil sich die USA und ihr westlich-kapitalistisches Erfolgsmodell mit dem Hinweis auf den dort grassierenden Rassismus diskreditieren ließen. In den 1950er und 1960er Jahren lud die SED immer wieder afroamerikanische Aktivisten und Bürgerrechtler ein, beispielsweise den Soziologen Du Bois oder den bekannten Sänger Paul LeRoy Robeson. Robeson, der in den USA quasi geächtet war, besuchte 1960 die DDR und erhielt die Ehrendoktorwürde der Berliner Humboldt-Universität.

Ebenfalls auf die afroamerikanische Öffentlichkeit zielte die (nicht realisierte) Überlegung, Martin Luther King zum 450. Jahrestag der Reformation in die DDR einzuladen. 1965 besuchte Louis Armstrong im Rahmen einer Europatournee Leipzig, was als kulturpolitischer Erfolg der DDR gefeiert wurde. Tausende von Jazzfans bejubelten den Weltstar am 23. März 1965 in den Messehallen. 1971 war Ralph D. Abernathy zu Gast in der DDR – Nachfolger des ermordeten King als Vorsitzender der Southern Christian Leadership Conference, einer der großen afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisationen.

Einige Jahre später wurde der Chicagoer Maler Charles Wilbert White (1918-1979), einer der ersten professionellen afroamerikanischen Künstler, in die DDR eingeladen. Sein bekanntestes Werk war ein Wandgemälde, das den Beitrag der Afroamerikaner zur Entwicklung der amerikanischen Demokratie thematisierte und an der Universität von Hampton entstand. Whites realistischer Stil und seine Technik der Wandmalerei kamen der DDR-Kunstdoktrin durchaus entgegen.

Die Mehrheit der schwarzen Community sowie ihrer Bürgerrechtsgruppierungen konnte jedoch nichts mit der DDR oder mit ihren amerikanischen Partnern von der Communist Party USA anfangen. Viele jüngere und radikalere Aktivisten tendierten zu den Black Panthern oder anderen nationalistischen, religiösen oder gar antisemitischen Gruppierungen.

Angela Davis – wichtig für die DDR-Propaganda

Um so wichtiger war Angela Davis für die DDR-Propaganda. Sie stellte das Bindeglied zwischen sozialistischer Ideologie und antirassistischem Befreiungskampf in den USA dar und sah den Ostblock als Bündnispartner an. Aus Sicht des Politbüros eignete sie sich perfekt als linke Ikone. Doch nur einige wenige linksorientierte Aktivisten folgten ihrer Linie und engagierten sich im 1975 gegründeten „US-Commitee for Friendship with the GDR“.

Angela Davis hatte mit dem Langzeitgefangenen George Jackson, der im Gefängnis Mitglied der Black Panther Party geworden war, ein Buchprojekt über seine Haftbedingungen in Gang gesetzt. (Soledad Brother). Im August 1970 versuchte ihn sein Bruder mit Waffengewalt aus einem Gerichtssaal zu befreien. Vier Menschen starben in diesem Zusammenhang. Davis wurde vorgeworfen, die Waffe für diesen Überfall besorgt zu haben, da diese auf ihren Namen gekauft worden war. Das FBI setzte Angela Davis daraufhin auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA.

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Nach der Inhaftierung und Anklage von Davis orchestrierte die SED eine breite Kampagne für ihre Freilassung. Dazu zählte eine Postkartenaktion („Eine Million Rosen für Angela Davis“), Kundgebungen und Aufträge an Künstler, sich mit der Darstellung von Angela Davis zu befassen. Dieser folgten sowohl professionelle als auch Laienkünstler. Einige Resultate wurden 1972 auf der renommierten Kunstausstellung der DDR in Dresden präsentiert.

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Kürzlich befassten sich die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in einer Sonderausstellung mit dieser historischen Episode. Kuratorin Kathleen Reinhardt beschrieb die ikonenhafte Wirkung von Angela Davis wie folgt:

„Ihr Abbild wird weltweit erkannt als Synonym für Radikalität und Widerstand und ruft zu einer kritischen Reflektion der Gegenwart auf so wie es ihr ungebrochener Aktivismus und ihre kanonischen Schriften tun.“

Kuratorin Kathleen Reinhardt
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Zahlreiche Nahaufnahmen wurden von Davis’ Gesicht verbreitet. Diese schienen besonders geeignet zu sein, um eine Bindung durch die scheinbare Nähe zur „Schwester Angela“ zu gewährleisten. In den künstlerischen Darstellungen wurde der modische Afro zum dominierenden Element, der Davis’ Abbild etwas Stereotypes verlieh. Teilweise wirkte er wie ein Heiligenschein.

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Angela Davis hat sich später kritisch mit der medialen Verbreitung und „Ausbeutung“ schwarzer Kultur und Mode durch die Mehrheitsgesellschaft auseinandergesetzt, und in gewisser Weise beutete auch damals der Realsozialismus das Bild einer „coolen“ Schwarzen für seine Zwecke aus. 2011 sagte sie In einem Interview mit der taz: „Oh, ich bin keine Ikone, ich versuche eher, eine Bilderstürmerin zu sein. …Ich kann die Wichtigkeit von Images respektieren, aber mich nicht damit identifizieren. Ich bin nicht das Image, ich habe darauf immer mit Widerwillen reagiert.”

1972 wurde Davis freigesprochen und reiste anschließend in die DDR, um sich für die Kampagne zu bedanken. Dabei wurde sie von 50.000 überwiegend jungen DDR-Bürgern und Bürgerinnen begeistert empfangen.

Davis hat heute noch eine hohe Meinung von der politischen Wirksamkeit der Kunst: „Ich weiß, dass Bewegungen oft von Musik, von Poesie, von visueller Kunst angetrieben werden. Ich denke, dass Kunst in der Lage ist, die Menschen auf eine Weise zu erreichen, wie es didaktische Gespräche oft nicht vermögen … wenn wir glauben, dass Revolutionen möglich sind, müssen wir uns verschiedene Arten des Seins und verschiedene Arten von sozialen Beziehungen vorstellen können. In diesem Sinne ist Kunst entscheidend. Die Kunst steht an der Spitze des sozialen Wandels. Kunst erlaubt uns oft, zu erfassen, was wir noch nicht verstehen können.“

Am 1. Oktober 2019sprach AngelaDavis mit dem Senior-Kurator des Oakland Museumof California, RenédeGuzman, in Davis’Haus in Oakland. Das ganze Interview hier.

Es gelang der DDR nicht wie erhofft, Angela Davis stellvertretend für alle Afroamerikaner als antiimperialistische Hebel einzusetzen, um die USA zu diskreditieren. Den amerikanischen Einfluss im globalen Süden konnte sie auf diese Weise nicht einschränken. Dabei hat die gesellschaftliche Stigmatisierung und politische Repression der CPUSA, deren prominentestes Mitglied Angela Davis zeitweilig war, eine fatale Rolle gespielt. Der Antikommunismus der amerikanischen Bevölkerung erwies sich als zu stark, die amerikanischen Kommunisten blieben isoliert und konnten kein starker Bündnispartner des Sozialismus werden.

Inwieweit die DDR-Kampagne für die Freilassung von Angela Davis relevant war, ist heute schwer zu bestimmen. Möglicherweise hat die Allianz mit Angela Davis der DDR mehr genützt; nicht unbedingt auf der außenpolitischen Ebene, wo sich die DDR als Player auf der internationalen Bühne darzustellen suchte, sondern vor allem innenpolitisch: Die Solidaritätskampagne mit der linken Ikone „Schwester Angela“ begeisterte viele junge Menschen, darunter viele Frauen, und machte die Herrschaft der SED somit im eigenen Land ein Stück weit akzeptabler. Es war der DDR-Führung zeitweise und in Teilen der jungen Bevölkerung tatsächlich gelungen, das Narrativ einer großen sozialistischen Weltfamilie zu kultivieren.

Der deutsch- und englischsprachige Katalog zur Ausstellung „1 Million Rosen für Angela Davis“ am Albertinum (Staatliche Kunstsammlungen Dresden) ist bei Mousse Publishing erschienen und immer noch im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-88-6749-439-2).
Die Kuratorin Kathleen Reinhardt ist Kunst- und Kulturwissenschaftlerin und seit 2016 am Albertinum in Dresden. Sie war Fulbright Stipendiatin und promovierte 2017 am Fachbereich Kunst Afrikas der Freien Universität Berlin mit ihrer Arbeit zu zeitgenössischer afroamerikanischer Kunst.

Mehr über eine andere linke Ikone in der Kunst, Frida Kahlo, erfährst du hier.

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